Ein Gründungsmitglied erinnert sich …

Wir schreiben das Jahr 2020 …

Es ist kaum zu glauben, dass unser Musikchor schon 20 Jahre alt sein soll. Aber ein Blick in den Kalender, oder in den Spiegel, belehrt jeden Ungläubigen eines Besseren. Dann beginnt man zu grübeln und versucht sich wieder ins Gedächtnis zu rufen, wie das damals denn eigentlich alles begonnen hat. Und wie in einem Film, zu mitternächtlicher Stunde bei einem guten Glas Wein, läuft die Vergangenheit wieder an einem vorbei. An einige der Begebenheiten, die mir dabei eingefallen sind, werdet Ihr Euch vielleicht nicht mehr so recht erinnern können, aber in weiteren 20 Jahren wird niemand mehr daran zweifeln, dass es so und nicht anders gewesen sein muss.

Unserem damals noch taufrischen Organisten und Chorleiter Leo Roder wurde irgendwann im Herbst 1979 von Herrn Pastor Sommer die Aufgabe übertragen, sich für die musikalische Gestaltung der nächsten Frohnleichnamsprozession etwas Neues einfallen zu lassen. Es sollte künstlerisch anspruchsvoll gleichzeitig kostengünstig und vor allem .. laut .. sein. Leo Roders erste spontane Idee war, eine Secondhand-Pfeifenorgel auf einen Lastwagen zu montieren und in der Prozession mitzuführen. Das versprach zwar laut und künstlerisch wertvoll zu werden, erwies sich jedoch bei näherem Hinsehen als nicht besonders kostengünstig und fand darum zwar den Beifall des Pfarrgemeinderates, aber nicht den des Kirchenvorstandes. Nach intensiven Beratungen in diesen Gremien rang man sich nach sechs Wochen spontan zu folgendem Lösungsvorschlag durch: Das Prinzip einer fahrbaren Pfeifenorgel sei, so befand man, grundsätzlich begrüßenswert. Der besseren Beweglichkeit halber sollte jedoch versucht werden, die Pfeifen an Einzelpersonen zu verteilen. Deren gemeinsames Wirken würde Musik hervorrufen können. Albert Loch, damals Pfarrgemeinderatsvorsitzender im Ruhestand, und Leo Roder verstanden diese Anregung, interpretierten sie als Aufforderung zur Gründung einer Blasmusik und machten sich unverzüglich an die Arbeit. Zunächst brauchte man Leute, die das Projekt mit Leben erfüllen konnten. Deshalb wurde sofort mit einer intensiven Rekrutierungstätigkeit begonnen, wobei die Pausenhöfe der umliegenden Schulen und die Wirtshäuser im Sichtfeld unserer beiden Kirchtürme systematisch nach geeigneten Personen durchkämmt wurden. Wer sich verdächtig machte, musikalisch zu sein, wurde vorgeladen und etwa zu Nikolaus 1979 einem musikalischen Eignungstest unterzogen. Eines der damals angesetzten Kriterien ist mir heute noch geläufig:

Auf die Frage: Was ist C und A war sinngemäß zu antworten:
„Gehört zur Tonleiter“. Falsch war die Antwort: „Ist irgendwo in der Schildergasse“ Dermaßen strengen Prüfungsfragen erwiesen sich von dem knappen halben Dutzend angetretener Kandidaten nicht mehr als 5 gewachsen. Neben Leo Roder als Leiter und erstem Trompeter waren das in fast alphabetischer Reihenfolge:

Herr Stephan Heep, (Tenorhorn)
Herr Frank Loch, (Posaune)
Herr Werner Querl, (Baritonhorn)
Herr Thomas Thiebold, (Flügelhorn)
und meine Wenigkeit Leo Paus (Trompete).

Nun fehlten nur noch die Instrumente und ein Probenraum. Erste Preisanfragen beim Musikhaus Anton in der Bonner Straße -heute übrigens aufgrund seiner überragenden Qualität, Servicebereitschaft und Geduld immer noch Exklusivlieferant unseres Orchesters- zeigten uns überdeutlich, dass der Einkauf von 5 Blechblasinstrumenten nicht, wie vom Kirchenvorstand erwartet, über die Kaffeekasse des Pfarrbüros oder eine Kollekte in der Frühmesse würde beglichen werden können. Es mussten also Sponsoren gefunden werden.

Wir fragten nach bei ADIDAS, Reissdorf-Kölsch, Olivetti, Ferrari, Radio-Vatikan und Camel, erhielten jedoch von keinem dieser Unternehmen eine positive Rückantwort. Um ehrlich zu sein, wir erhielten überhaupt keine Antwort. Die Lage war so ernst, dass wir kurz davor waren, den Mut zu verlieren.Doch dank der überragenden organisatorischen Fähigkeiten von Albert Loch konnte jemand gefunden werden, der die Lücke zu schließen vermochte: Retter in der Not war Herr Dr.Dr. Broicher, wohnhaft in Weiden, und in seiner knappen Freizeit in fast allen Sitzungssälen anzutreffen, von denen aus man einen guten Blick auf den Kölner Dom hat. Er bekam in dieser Zeit auffällig oft Besuch von den sich wohlerzogen benehmenden und korrekt gekleideten Herren Loch und Roder. Seine Patienten wissen zu berichten, dass sich bei ihm damals eine sonderbare Persönlichkeitsveränderung vollzog: Wurden sie bis dahin im Sprechzimmer stets mit einem knappen „Wat haste?“ begrüßt, so formulierte er nun des öfteren gedankenverloren „Wat brauchste?“.

Nun war guter Rat teuer, doch völlig unverhofft half hier der Kirchenvorstand weiter: In unmittelbarer Nähe der Heilig-Geist-Kirche wurde eine freistehende Villa seitens der Pfarrgemeinde als Traininglager für uns in Besitz genommen. Zu unserem persönlichen Schutz quartierte man die Herren Dr. Krinner (Diakon) und Günther Paetzold (Hausverwaltung) ein, die für einen ungestörten Probenbetrieb und absolute Ruhe zu sorgen hatten. Daran, dass wir während der Proben des öfteren den Ruf „Ruhe!“ aus dem Nebenzimmer hörten, erinnere ich mich immer noch, so, als sei es gestern gewesen. Ich weiß nur nicht mehr, ob es Herr Dr.Krinner oder Herr Paetzold war.Nebenbei konnte das Gebäude übrigens auch als Pfarrzentrum genutzt werden. Nachdem wir 1 Jahr darin geprobt hatten, wurde es zum Abriss freigegeben und an gleicher Stelle das neue Pfarrzentrum errichtet. Herr Roder hatte sich zwischenzeitlich mehrere Nächte in der Sakristei des Altenheimes verbarrikadiert und dort die Notenblätter für einige Lieder, die entfernt zum Thema Fronleichnam passten, ausgearbeitet. So ausgestattet begannen wir im Januar 1980 mit der ernsthaften musikalischen Arbeit. Doch die erste Probe stellte uns, vollkommen unerwartet, vor ein neues Problem:

Ein Teil der jungen Talente konnte zwar perfekt Noten lesen, beherrschte aber die Kunst des Blechblasens nicht. Andere wiederum verfügten über gewisse Fertigkeiten auf dem Instrument, waren aber nicht in der Lage, die geschriebenen Noten damit in Verbindung zu bringen. Keiner konnte beides! Aber wir ließen uns nicht entmutigen: Auf der Basis von Erfahrungen aus verschiedenen Jazz- und Rockbands versuchten wir bei der nächsten Probe, die ausgesuchten Lieder nach Gehör zu spielen. Über den Erfolg dieser Methode gab es dann völlig voneinander abweichende Meinungen und Reaktionen: Herr Pätzold verschwand verängstigt in seiner Dunkelkammer und ward drei Tage nicht gesehen. Herr Dr. Krinner predigte am darauf folgenden Sonntag mehrmals über das Thema „Jericho“, verstand jedoch die Zwischenrufe aus dem Auditorium nicht mehr so ganz.

Ich persönlich fand die damalige Probe eigentlich recht erfolgversprechend Wären wir bei der erarbeiteten Stilrichtung geblieben, so hätte unsere Karriere mit Sicherheit einen ganz anderen Verlauf genommen. Es kamen allerdings Bedenken auf, ob wir auf diese Weise der uns gestellten Aufgabe, die Frohnleichnamsprozession zu begleiten, gerecht werden würden.Ein einstimmiger Beschluss von Herrn Roder führte uns schließlich auf den dornenreichen Pfad der Kirchenmusik zurück. Den verließen wir dann vorsichtshalber vorerst nicht mehr und probten so lange unermüdlich weiter, bis wir endlich … in Harmonie vereint … waren. Von Woche zu Woche machten wir gewaltige Fortschritte und konnten uns schließlich am Fronleichnamstag 1980 erstmals mit unserem Repertoire (Deinem Heiland, deinem Lehrer; Beim letzten Abendmahle; Komm Schöpfer Geist; Gib Herr uns Deinen Segen; Probealarm; Singendes Amerika; Tiritomba und Tantum Ergo) ans Licht der Öffentlichkeit wagen. Auf Wunsch des Weidener Klerus entschlossen wir uns aber kurzfristig dazu, einige dieser Titel nicht bei der Prozession anzustimmen.

Niemand hatte es zu hoffen gewagt, aber unser erster Auftritt wurde ein überwältigender Erfolg. Denn es geschah etwas, das selbst den Bläck-Fööss am Beginn ihrer Laufbahn nicht vergönnt war: Das Publikum erkannte jedes Lied auf Anhieb und sang die Texte begeistert mit. Und unter dem Baldachin strahlte Pastor Sommer übers ganze Gesicht. Denn es waren ja „seine Jungs“, die da Musik machten, und nicht irgendwelche angemieteten Kräfte von wer-weiß-woher, die man zu allem Überfluss auch noch hätte bezahlen müssen. Solchermaßen beflügelt war es an diesem Tage allen Beteiligten klar, dass wir uns nun daran geben mussten, eine Karriere im internationalen Musikgeschäft anzustreben und die ganze Sache auf sichere Füße zu stellen.Wir spürten, dass hierzu ein straff durchorganisiertes Management gehört, das uns durch die Wirrnisse der Zeit würde hindurchsteuern können. Diese und andere wichtige Voraussetzungen verschafften wir uns, indem wir uns eine Satzung gaben, für einheitliche Bekleidung sorgten und einen ordentlichen Vorstand wählten. Erster Vorsitzender wurde Herr Albert Loch. Als Stellvertreter wählten wir ob seiner Verdienste -um den Musikchor natürlich- Herrn Dr.Dr. Broicher. Albert Loch, dem wir an dieser Stelle nochmals für die schwere Arbeit, die er in den Pionierjahren des Musik-Chors St.Marien geleistet hat, ganz herzlich danken möchten, wurde vor einiger Zeit durch Henning Jäger abgelöst, der als „Pavarotti“ von Üsdorf stadtbekannt ist. Aber auch das hat uns nicht geschadet. Nur den Anschluss an das internationale Musikgeschäft haben wir immer noch nicht geschafft. Dabei haben wir Tourneen hinter uns, die uns bis nach Wichterich geführt haben, Auftritte im Kölner Stadion, im Gürzenich, und in der Wolkenburg absolviert, zum Domjubiläum aufgespielt und sogar eine CD aufgenommen.

Aber wenn sich die Aktiven bei der allwöchentlichen Probe unter den hypnotisch dirigierenden Händen von Leo Roder versammeln, denkt heute niemand mehr an die internationale Karriere. Warum auch? Denn alle spüren: Es macht einfach Spaß Musik zu machen, sei es zur Ehre Gottes oder zur Freude des Publikums. Mehr wollen wir nicht und mehr brauchen wir auch nicht.

Wenn es dabei bleibt, können wir sicher sein, dass wir auch noch ein dreißigstes, vierzigstes oder fünfzigstes Jubiläum feiern werden. Die Chancen dafür stehen gut, denn etliche unserer mittlerweile über 30 aktiven Mitglieder waren noch nicht geboren, als vor 20 Jahren alles begann.

Leo Paus